Regelungsregime

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REGELUNGSREGIME

auch: Regelregime, Regelungssystem, Steuerungsregime, Regelungsstruktur, Governance-Regime, regu­la­tory regime, sys­tème régle­men­taire, régime réglementaire

Version 1.0 (12.05.2021)

Autor: Werner Kogge

Zum Wort
Die bei­den Glieder des Kompositums ‘Regelungsregime’ kom­bi­nie­ren zwei Ausdrücke aus dem Feld des Lenkens, Leitens, Steuerns und Führens. ‘Regel’ und ‘Regime’ stam­men beide vom latei­ni­schen Verb regere ‘gera­de­rich­ten, len­ken, lei­ten’; fran­zö­sisch régime ist ver­mit­telt über das latei­ni­sche regi­men: Herrschaftsform (übers. v. gr. arché, z.B. bei Thomas von Aquin) (AQUIN, 64). Entsprechend der dort bereits ange­leg­ten Bedeutungsbreite konnte das fran­zö­si­sche Nomen schon im 15. und 16. Jahrhundert die Form der Regierungsführung, die Administration von Institutionen (z.B. Klöster), die Lebensführung und die medi­zi­ni­sche Diät bezeich­nen, seit dem 18. Jahrhundert auch tech­ni­sche Prozesse in ihrer Funktionsweise. (DdMF) Die Verdopplung im Kompositum bringt das Bewusstsein zum Ausdruck, dass zur Regelung eines Sachbereichs eine Mehrzahl von Regeln auf­ein­an­der abge­stimmt und zu einer ‘Ordnung’, einem ‘System’ oder ‘Regime’ ver­knüpft wer­den müs­sen. Regelregime, regu­la­tory regime und régime régle­men­taire sind heute stan­dard­mä­ßig Übersetzungen von­ein­an­der. [WK]

Quellen:
AQUIN, Thomas von. Kommentar zur Politik des Aristoteles. Sententia libri Politicorum, 1 Freiburg 2015. 
Dictionnaire du Moyen Français (1330–1500). http://www.atilf.fr/dmf/definition/régime (zuletzt besucht am 07.05.2021)

Inhalt
  1. Diskurse und Kontexte

















  2. Literatur zum Begriff
  3. Weiterführende Links

  1. Diskurse und Kontexte
    1. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurde régime régle­men­taire im Diskurs der fran­zö­si­schen Physiokraten ver­wen­det. Gemäß die­ser Lehre sollte sich die Wirtschaft einer natür­li­chen Ordnung gemäß, frei von staat­li­chen Reglements ent­fal­ten kön­nen. (ONCKEN, 172 ff.) Régime régle­men­taire bezeich­nete in die­sem Kontext das ältere, mer­kan­ti­lis­ti­sche System der Regulierung der Wirtschaft durch Privilegien, Monopole und staat­li­che Steuerung (z.B. LE TROSNE). [WK]

      Quellen:
      ONCKEN, August. Geschichte der Nationalökonomie. Hand und Lehrbuch der Staatswis-sen­schaf­ten in selb­stän­di­gen Bänden. 1. Band. Leipzig 1902. 
      LE TROSNE, Guillaume-François. De l’ordre social, ouvrage suivi d’un traité élé­men­taire sur la valeur, l’ar­gent, la cir­cu­la­tion, l’in­dus­trie & le com­merce inté­ri­eure & exté­ri­eur. Paris 1777. 
    2. Der Ausdruck regle­men­tary regime wird im neo-insti­tu­tio­na­lis­ti­schen Diskurs zu inter­na­tio­na­ler Politik für das Zusammenspiel von Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren in der inter­na­tio­na­len Staatenkooperation ver­wen­det. So wurde Regime dort defi­niert als: “a set of mutual expec­ta­ti­ons, rules and regu­la­ti­ons, plans, orga­niza­tio­nal ener­gies and finan­cial com­mit­ments, which have been accepted by a group of sta­tes” (RUGGIE zitiert nach KEOHANE, 57). Damit reflek­tiert er wis­sen­schaft­lich die bereits ab den 1940er Jahren spo­ra­di­sche Verwendung des Begriffs im Kontext inter­na­tio­na­ler Koordination von Luftfahrt, Marine, Fischerei, Telekommunikation und Nukleartechnologie. Die dar­auf auf­bau­ende Regimetheorie beschäf­tigt sich mit der Theorie und Empirie insti­tu­tio­na­li­sier­ter inter­na­tio­na­ler Vereinbarungen wie das Menschenrechtsregime der UN, das Welthandelsregime (GATT) und das Kyôto-Protokoll. [WK]

      Quellen:
      KEOHANE, Robert O. After Hegemony: Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton 1984. 
    3. Die häu­figste Verwendung des Begriffs Regelungsregime fin­det sich in ver­wal­tungs­tech­ni­schen Kontexten (Diskurs von Verwaltungswissenschaften und Verwaltungsrecht) der prak­ti­schen Ausgestaltung pro­ze­du­ra­ler Regelung von Sachbereichen. In Kontinuität zu Semantiken wie Regelungslücke, Regelungsbedarf, Regelungsbereich, Rahmenregelung und Regelungsvariante wird der Begriff des Regelungsregimes juris­tisch und ver­wal­tungs­tech­nisch so ein­ge­setzt, dass er eine Option der Organisation von regu­lie­ren­den Elementen, seien sie recht­li­cher, struk­tu­rel­ler oder insti­tu­tio­nel­ler Art, bezeich­net (EBERHARD, 179). Der Begriff Regelungsregime steht hier in Verwandtschaft mit dem tech­ni­schen Gebrauch von ‘Regelungsregime’, in dem es um unter­schied­li­che Steuerungsmodi von Geräten und Anlagen z.B. durch elek­tro­ni­sche Verfahren geht (ELEKTRIE, 657). Den dis­kur­si­ven Rahmen bil­det das über­grei­fende Paradigma kyber­ne­ti­schen Denkens, das seit den 1950er Jahren in vie­len Diskursen prä­gend wirkte. [WK]

      Quellen:
      ELEKTRIE. Zeitschrift des Fachverbands Elektrotechnik. Band. 33. Berlin 1919 
      EBERHARD, Harald. Der ver­wal­tungs­recht­li­che Vertrag. Ein Beitrag zur Handlungsformenlehre. Wien 2005. 
    4. Im poli­tik- und sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Diskurs der Governance-Forschung ist meist ent­we­der von Regelungsstruktur oder kurz nur von Regime die Rede. Im Sinne des Governance-Ansatzes, bei dem ein koor­di­na­ti­ves Regulierungsmodell an die Stelle einer hier­ar­chisch gedach­ten Steuerungslogik tritt, bezeich­net Regelungstruktur den “institutionelle[n] Rahmen, der das Handeln der Akteure lenkt. […] Wenn man […] unter Governance ‘a sys­tem of rule’ ver­steht, dann steht jetzt nicht mehr das Machen, das […] Steuerungshandeln im Zentrum des Interesses, son­dern die mehr oder we-niger frag­men­tierte oder inte­grierte, nach unter­schied­li­chen Prinzipien gestal­tete Regelungsstruktur.” (MAYNTZ) In die­sem Sinne wird inzwi­schen auch ver­mehrt von Governance-Regimen gespro­chen. So zum Beispiel: “Der Fokus liegt auf Mechanismen der Handlungskoordinierung, die in den Governance-Modi ihren Ausdruck fin­den, die ihrer­seits zu auf­ga­ben­be­zoge-nen Governance-Regimen ver­knüpft wer­den.” (SCHUPPERT, 34) [WK]

      Quellen:
      MAYNTZ, Renate. Governance Theory als fort­ent­wi­ckelte Steuerungstheorie? In: G. F. Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung: Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien (pp. 11–20). Baden-Baden 2005. https://pure.mpg.de/pubman/faces/ViewItemFullPage.jsp?itemId=item_1233939 (zuletzt besucht am 29.04.2022)
      SCHUPPERT, Gunnar Folke. Governance – auf der Suche nach Konturen eines „aner­kannt unein­deu­ti­gen Begriffs“. In: ders. u. Michael Zürn (Hrsg.). Governance in einer sich wan­deln­den Welt. Wiesbaden 2008. 
  2. Literatur zum Begriff
  3. KEOHANE, Robert O. After Hegemony: Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton 1984. 
    SCHUPPERT, Gunnar Folke u. Michael Zürn (Hrsg.). Governance in einer sich wan­deln-den Welt. Wiesbaden 2008. 
  4. Weiterführende Links
  5. MAYNTZ, Renate. Governance Theory als fort­ent­wi­ckelte Steuerungstheorie? In: G. F. Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung: Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien (pp. 11–20). Baden-Baden 2005. https://pure.mpg.de/pubman/faces/ViewItemFullPage.jsp?itemId=item_1233939 (zuletzt besucht am 29.04.2022)

PDF Zitiervorschlag: Werner Kogge, „Regelungsregime“, Version 1.0, 12.05.2021, ORGANON ter­mi­no­logy tool­box, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

PDF DOI: http://dx.doi.org/10.17169/refubium-30644

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