← Zurück zum Begriffswerkzeug

STECKBRIEF

Steuer

Zum Wort

Das Wort lei­tet sich aus dem alt­hoch­deut­schen sti­ura bzw. mit­tel­hoch­deut­schen sti­ure ab, das ursprüng­lich eine Stütze oder einen Pfahl spä­ter dann auch eine Unterstützung bezeich­net. Dem ähn­lich ist die Rückführung auf das nie­der- und nie­der­mit­tel­deut­sche stur oder sture, womit die zum Staken und Lenken eines Schiffes ver­wen­dete Stange bzw. die Stütze oder der Pfahl und spä­ter direkt das Steuerruder bezeich­net wurde.

Das im eng­li­schen Sprachraum ver­wen­dete tax lässt sich auf das latei­ni­schen taxare, (ab)schätzen oder bewer­ten, zurückführen.

Janis Walter

Mehr…

DISKURS 1

Im juri­disch-öko­no­mi­schen Diskurs wer­den unter dem Begriff Steuern alle finan­zi­elle Leistung ange­se­hen, die ein Gemeinwesen von sei­nen Steuerpflichtigen zu sei­ner Finanzierung erhebt, ohne dafür eine direkte Gegenleistung anzu­bie­ten. In §3 (1) der Abgabenordnung heißt es in die­sem Sinne: „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine beson­dere Leistung dar­stel­len und von einem öffent­lich-recht­li­chen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen […] auf­er­legt wer­den“. Im moder­nen Steuerrecht und auch in der juris­ti­schen Diskussion gel­ten Natural- oder andere nicht­geld­li­che Leistungen dem fol­gend expli­zit nicht als Steuern (siehe FEHRENBACHER 2017, 34).

Janis Walter

Quellen:

Abgabenordnung der Bundesrepublik Deutschland. https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__3.html (Besucht am 12. Oktober 2021).
FEHRENBACHER, Oliver. Steuerrecht. Baden-Baden 2017

Mehr…

DISKURS 2

Die Engführung des Steuerbegriffs wird im geschichts­wis­sen­schaft­li­chen oder sozio­lo­gi­schen Diskurs in Frage gestellt, wes­halb mit dem Begriff Steuern neben finan­zi­el­len Leistungen auch Dienstpflichten und Abgaben in Naturalien bezeich­net wer­den. So iden­ti­fi­zierte Moran (2005) die Auffassung, dass Steuern immer eine Geldleistung dar­stel­len, als eines der wei­test ver­brei­te­ten Missverständnisse. Sie betont, dass his­to­risch Steuern oft in Form von Gütern oder auch in Form von Arbeitsleistung begli­chen wur­den und sieht den ver­pflich­ten­den Militärdienst in moder­nen Staaten als Steuerleistung an. Wenn so unter dem Begriff mehr gefasst wird als die bloße Verpflichtung zur Abgabe einer Geldleistung, wird der Begriff häu­fig durch Suffixe prä­zi­siert („Steuerpolitik“, „Steuerstaat“ usw.) und lässt auch deut­li­cher die darin ent­hal­tene Steuerungsfunktion erken­nen (siehe HUHNHOLZ).

Kristin Kleber

Quellen:

Moran, Beverly I. (2005), „Taxation“. In: Tushnet, Mark & Cane, Pieter (eds.), The Oxford Handbook of Legal Studies. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199248179.013.0018 (abge­ru­fen im September 2020).
HUHNHOLZ, Sebastian. Steuerpolitik. In: Voigt R. (Hrsg.) Handbuch Staat. Wiesbaden 2018. https://doi.org/10.1007/978–3‑658–20744-1_110

Mehr…

Der Begriff “Steuer” in der Altorientalistik

Verwendung des Begriffs

In der alt­ori­en­ta­lis­ti­schen Forschung spie­geln sich zwei grund­le­gende Problematiken, näm­lich 1) ob als Steuer aus­schließ­lich finan­zi­elle Leistungen (Naturalien oder Geld) zu bezeich­nen sind, oder ob Dienstpflichten (Militär- und Frondienst) dazu­ge­hö­ren, und 2) ob Abgaben, die auf Königs- bzw. Staatsland gezahlt wer­den als Pacht bezeich­net wer­den müs­sen oder eine Steuer darstellen.

Aspekt 1: Mehrere Altorientalisten (z.B. San Nicolò 1928, 7; Renger 2011, 165), jedoch nicht alle, fol­gen der Eigenbegrifflichkeit (s. unten) und tren­nen Steuern von den Dienstpflichten. Zu den „ordent­li­chen“ Steuern wer­den auch die Zölle gezählt. Das Reallexikon der Assyriologie führt des­we­gen gleich drei rele­vante Lemmata, näm­lich „Abgaben“, „ilku“ und „Steuer“. In sei­nem Beitrag „Abgaben“ im ers­ten Band des Lexikons unter­schei­det M. San Nicolò (1928, 7–8) „ordent­li­che Steuern“, „außer­or­dent­li­che Kontributionen“ (ad-hoc Besteuerung) und Dienstpflichten als Abgaben der Mitglieder des eige­nen Gemeinwesen. Aufgrund der Trennung von „Steuern“ und „Dienstpflichten“ wurde das Lemma ilku („Dienstpflicht“) im Band 5 auf­ge­nom­men. Der Autor des Lemmas, B. Kienast (1976–1980) hat jedoch fast aus­schließ­lich die alt­ba­by­lo­ni­sche Zeit im Blick, neben einem kur­zen Abriss zur Dienstpflicht in Nuzi und Ugarit. Aus die­sem Grunde ent­hält der Beitrag „Steuer“ im 13. Band (2011–13) dann auch Ausführungen zu den Dienstpflichten mit Ausnahme des Absatzes über die alt­ba­by­lo­ni­sche Zeit.

Allerdings wer­den in Abhandlungen zu Steuern im ers­ten Jahrtausend die Dienstpflichten oft nicht mehr von den Steuern getrennt (Postgate 2011–13; Jursa 2011–13 spricht in den Zwischenüberschriften noch von „Steuern und Dienstpflichten“, aber Jursa 2010, 645 defi­niert „taxa­tion“ als bei­des umfas­send). Auch J. Renger (2011–13) kommt, obwohl er für die alt­ba­by­lo­ni­schen Dienstpflichten auf das Lemma ilku ver­weist, nicht umhin, die Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Besteuerung zumin­dest zu erwähnen.

Aspekt 2: Die Existenz von „Steuern“ wird für das dritte Jahrtausend aller­dings zuwei­len über­haupt als ana­chro­nis­tisch abge­lehnt; Steuern seien erst erho­ben wor­den, nach­dem sich das Privateigentum her­aus­ge­bil­det hatte und die öffent­li­chen Haushalte (Palast und Tempel) nicht mehr voll­stän­dig aut­ark waren (Hudson 1996, 64). Ob der Begriff als berech­tigt ange­se­hen wird oder nicht, hängt stark damit zusam­men, wie Autoren die Besitzverhältnisse an Produktionsmitteln beur­tei­len. Die Beiträge der Inhaber von „kom­mu­na­lem Land“ (Hudson 1996) oder von Staatsland wer­den nicht als Steuer ange­se­hen, son­dern ent­we­der als Leistung der Gruppe für die Gruppe, oder als Pacht, die dem Eigentümer (König oder Gott) zu zah­len ist. Das Problem der Abgrenzung des Begriffs „Steuer“ von der „Pachtabgabe“ reflek­tiert sich auch in der Aussage G. van Driels (2002, 226): „Strictly spo­ken this [Dienstpflichten und Abgaben, KK] does not repre­sent taxa­tion, as it is for­mally no more than com­ply­ing with the obli­ga­ti­ons which are a result of the ten­ure of land on which the obli­ga­tion rests.”

Eigenbegrifflichkeit

Einen Begriff, der genau der moder­nen Definition von Steuer ent­spre­chen würde – also Abgaben aus­schließ­lich von der eige­nen Bevölkerung, der alle kon­kre­ten Formen von Abgaben als Oberbegriff umfasst – gibt es im Akkadischen nicht. Allerdings gibt es eine Reihe von Begriffen, die wir zunächst in all­ge­meine, nicht steuer-spe­zi­fi­sche Begriffe für „Gabe“ / „Abgabe“ und in stär­ker steuer-spe­zi­fi­schen Begriffe ein­tei­len kön­nen. Letztere kön­nen wie­derum zum Teil aus­dif­fe­ren­ziert wer­den in spe­zi­fi­sche Begriffe für ein­zelne Steuerarten und Dienstleistungen.

Die Eigenbegrifflichkeit unter­stützt zunächst die Unterscheidung in Dienstpflichten und Abgaben in Naturalien (oder Geld). Ilku(m) (von alāku(m) „gehen“) wird ab der alt­ba­by­lo­ni­schen Zeit zum Terminus für die Dienstpflicht, spä­ter aber auch für die Zahlung anstelle der Dienstpflicht. Begriffe für Abgaben in Naturalien (oder Geld) sind biltu(m) von wabālu „tra­gen“; miksu(m) „Anteil, Quota“ oder MÁŠ = ṣibtu(m) „Einbehaltenes“. Neben biltu erscheint in assy­ri­schen Königsinschriften häu­fi­ger mad­dattu /man­dattu, was meist mit „Tribut“ über­setzt wird. Hier macht die Eigenbegrifflichkeit kei­nen Unterschied zwi­schen den Abgaben von Satellitenstaaten mit eige­ner Souveränität („Tribut“) und dem, was Provinzen zah­len (biltu u man­dattu). Mandattu, abge­lei­tet von nadānu „geben“, heißt ein­fach „Abgabe“; es ist nicht steu­er­spe­zi­fisch, son­dern bezeich­net z.B. auch die Ersatzzahlung für Sklavenarbeit.
Ein eben­falls nicht steu­er­spe­zi­fi­sches Wort für „Gabe“, nidittu, wird in achai­meni­disch-baby­lo­ni­schen Texten in der Wendung mimma nad­nātu ša bīt šarri „jeg­li­che Abgaben an das könig­li­che Schatzamt“ als Oberbegriff ver­wen­det, der ver­schie­dene kon­krete Steuerformen umfasst, die wie­derum spe­zi­fi­sche Namen tra­gen (z.B. qaštu „Bogendienst“, urāšu „Arbeitsdienst“, qēmu „Mehl“ oder rikis qabli „Ausrüstung“, wört­lich „Gürtung der Hüften“ ). Dazu gehö­ren auch ilku-Zahlungen für die Dienstpflichten (vgl. die Textbelege in Van Driel 2002, 269).

Literatur
Van Driel, G. 2002. Elusive Silver. In Search of a Role for a Market in an Agrarian Environment. Aspects of Mesopotamia’s Society. Leiden.
Hudson, M. 1996. „The Dynamics of Privatization, from the Bronze Age to the Present.“ In: Hudson, M. & Levine, B. (eds.), Privatization in the Ancient Near East and the Classical World. Cambridge, MA, 33–72.
Jursa, M. 2010. Aspects of the Economic History of Babylonia in the First Millennium BC: Economic Geography, Economic Mentalities, Agriculture, the Use of Money and the Problem of Economic Growth (AOAT 377), Münster. With con­tri­bu­ti­ons by: J. Hackl, B. Jankovic, K. Kleber, E. E. Payne, C. Waerzeggers and M. Weszeli.
Jursa, M. 2011–13 „Steuer. D. Spätbabylonisch.“ Reallexikon der Assyriologie 13, 168–175.
Kienast, B. 1976–1980 „ilku.“ Reallexikon der Assyriologie 5, 52–59.
Kleber, K. 2021. „Taxation and Fiscal Administration in Babylonia.” In: Kleber, K. (Hrsg.), Taxation in the Achaemenid Empire (CLeO 26), Wiesbaden, 13–152.
San Nicolò, M. 1928 „Abgaben.“ Reallexikon der Assyriologie 1, 7–8.
Postgate, J.N. 2011–13 „Steuer (tax). C. Mittel- und neu­as­sy­risch.“ Reallexikon der Assyriologie 13, 168.
Renger, J. 2011–13 „Steuer. B. Altbabylonisch.“ Reallexikon der Assyriologie 13, 164–168.
Schrakamp, I. & Paoletti, P. 2011. „Steuer. A. Babylonien im 3. Jahrtausend.“ Reallexikon der Assyriologie 13, 161–164.
Stol, M. 2004 “Wirtschaft und Gesellschaft in alt­ba­by­lo­ni­scher Zeit.” In: Attinger,P., Sallaberger, W. & Wäfler, W. (Hrsg.), Mesopotamien: Die alt­ba­by­lo­ni­sche Zeit (OBO 160/4). Fribourg / Göttingen, 643–975.

Kristin Kleber

Mehr…

Kriterien des Begriffs

Für eine kri­te­rio­lo­gi­sche Untersuchung ist das Verhältnis des Begriffs ‘Steuer’ zu den Begriffen ‘Pacht’, ‘Tribut’ und ‘Dienstpflicht’ näher zu erör­tern. Zur his­to­ri­schen Problematik siehe Kristin Kleber: Der Begriff „Steuer“ in der Altorientalistik.

Mehr…

Anwendungsempfehlung für die Altorientalistik

M.E. kön­nen jeg­li­che Abgaben und Dienstleistungen als „Steuern“ bezeich­net wer­den, die alt­ori­en­ta­li­sche Gemeinwesen zum Zwecke ihrer Finanzierung ihren Mitgliedern auf­er­leg­ten, ohne eine direkt damit ver­bun­dene Gegenleistung zu erbrin­gen. Steuern kön­nen in Form von Naturalien, Geld oder Dienstpflichten erho­ben und geleis­tet wer­den. Der Begriff „Steuer“ wird damit breit defi­niert. Neben einer Anpassung an den wis­sen­schaft­lich begrün­de­ten juris­ti­schen Diskurs, liegt eine wei­tere Begründung für die Anwendung die­ser brei­ten Definition in der Möglichkeit, Dienstpflichten durch Geldzahlungen abzu­gel­ten. Die Abgeltung ist ab der alt­ba­by­lo­ni­schen Zeit gut bezeugt und wird in der Mitte des ers­ten Jahrtausends für die städ­ti­sche Oberschicht fast zur Regel. Die Begriffe ilku(m) „Dienstverpflichtung“ sowie deren Bestandteile (im ers­ten Jahrtausend u.a. qaštu „Bogendienst“ und urāšu „Arbeitsdienst“) wer­den auch als Begriffe für die ent­spre­chen­den Ersatzzahlungen verwendet.

Schwieriger ist die Abgrenzung von „Pacht“ und „Steuer“ bei Abgaben und Dienstleistungen, die Inhabern von öffent­li­chem Land (Staatsland) oblie­gen. Während die Abgaben und Dienstleistungen oft direkt aus der Nutznießung des Bodens resul­tier­ten, wur­den Götter (Tempelland) und pri­vate Begünstigte von Landschenkungen und Landverteilungen teil­weise von die­sen Leistungen befreit. Im ers­ten Jahrtausend zahl­ten z.B. letz­tere nicht die „Königsanteil“ (zitti šarri) genannte Ernteabgabe, aber leis­te­ten Dienstpflichten gegen­über dem König, die mit ihrem Landbesitz ver­bun­den waren. Aufgrund der his­to­ri­schen Entwicklung über die drei Jahrtausende alt­ori­en­ta­li­scher Geschichte kann hier keine klare Anwendungsempfehlung aus­ge­spro­chen wer­den. Zur Vermeidung von Missverständnissen bei der Rezeption durch andere Wissenschaftsgebiete soll­ten alt­ori­en­ta­li­sche Studien die Verwendung der Begriffe „Pacht“ und „Steuer“ reflek­tie­ren und begründen.

Kristin Kleber

Mehr…