Bricolage

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Bricolage

Substantiv des fran­zö­si­schen bri­co­ler, das ent­we­der ‘hand­werk­lich tätig sein’ oder ‘etw. ama­teur­haft instal­lie­ren’ bedeutet

Version 1.0 (14.04.2023)

Autorin: Anna-Maria Gasser (AG)

Zum Wort
Das seit dem 20. Jh. belegte fran­zö­si­sche Substantiv bri­co­lage bezeich­net das Ergebnis oder den Prozess des bri­co­ler; sei­ner­seits abge­lei­tet von bri­cole (im moder­nen Sprachgebrauch ‚kleine, unbe­deu­tende Sache, Arbeit oder Tätigkeit‘), bedeu­tet das Verb ent­we­der ‚hand­werk­lich tätig sein‘ oder (zum Teil pejo­ra­tiv) ‚etw. ama­teur­haft instal­lie­ren‘. Ebenfalls in den moder­nen Sprachgebrauch ein­ge­gan­gen ist die Begriffsprägung durch Lévi-Strauss 1962 als ‚impro­vi­sierte, an die vor­han­de­nen Materialien und Umstände ange­passte Arbeit‘. Im Anschluss an Lévi-Strauss ist der Begriff auch als Lehnwort in andere Sprachen über­nom­men wor­den; seine jewei­li­gen Übersetzungen (dt.: ‚Bastelei‘, ‚Tüfteln‘ ‚Heimwerken‘; engl.: ‚Do-it-yours­elf‘, ‚tin­ke­ring‘) bil­den z.T. nicht den gesam­ten Lévi-Strauss’schen Begriff ab, son­dern rekur­rie­ren v.a. auf den Wortgebrauch in der frz. Gemeinsprache oder sind ana­log zu ihm gebildet.(AG)
Quellen:
„bri­co­lage“, „ bri­co­ler“, „bri­cole“, Le Grand Robert de la lan­gue fran­çaise. Paris 2008 — https://grandrobert.lerobert.com/robert.asp (besucht am 11.11.2022)
„bri­co­lage“, Oxford English Dictionary 
LÉVI-STRAUSS, Claude: La pen­sée sau­vage. Paris 1962; deutsch: Das wilde Denken. Übersetzung von Hans Naumann. Frankfurt am Main 1968. 

Inhalt
  1. Diskurse und Kontexte


























  1. Diskurse und Kontexte
    1. In der fran­zö­si­schen Gemein- und Wirtschaftssprache bezeich­net das Wort (ana­log zum zum engl. ‚Do-it-yours­elf‘ (DIY)) seit dem 20. Jh. hand­werk­li­che Tätigkeiten, wie Reparaturen, Aus- und Umbauten oder die Herstellung von Gebrauchs- und Kunstgegenständen durch Basteln und Heimwerken im nicht-pro­fes­sio­nel­len Kontext. Die für ‚bri­co­lage‘ not­wen­di­gen Produkte und Mittel wer­den in ‚magasins du bri­co­lage‘ (Baumärkten) und ‚gran­des sur­faces du bri­co­lage (GSB)‘ (Großmärkten) ver­trie­ben, von denen viele den Terminus in ihrem Namen ver­ar­bei­ten (z.B. Bricomarché, Mr Bricolage, Les Briconautes). (AG)

      Quellen:
      https://fr.wikipedia.org/wiki/Bricolage (besucht am 11.11.2022)
      https://fmbricolage.com (besucht am 11.11.2022)
    2. Für den Diskurs des anthro­po­lo­gi­schen Strukturalismus war die Begriffsverwendung durch den Ethnologen und Anthropologen Claude LÉVI-STRAUSS prä­gend. In sei­nem Buch Das wilde Denken (1962/1968) ent­fal­tet er eine „Theorie“ der B., „die ebenso der Erkundung einer aktu­el­len Praktik des wil­den Denkens dient, die sich inner­halb des Bereichs des domes­ti­zier­ten Denkens erhal­ten hat, wie auch der Veranschaulichung des mythi­schen Denkens der ›Wilden‹“. (BIES 2018) Für LÉVI-STRAUSS‘ Begriff der B., deren Ziele, Mittel und Arbeitsweisen er im Vergleich mit der Arbeit des Ingenieurs pro­fi­liert, sind die Improvisation und die dadurch impli­zierte Anpassung an das Vorhandene kenn­zeich­nend. Während der Ingenieur „ziel­ge­rich­tet“ (KUESTER 2013, 89) einen vor­ge­fass­ten Plan umsetzt und von den hier­für not­wen­di­gen Mitteln abhän­gig ist, bestim­men umge­kehrt die vor­han­de­nen, begrenz­ten und – gemäß einer ursprüng­li­chen Funktion von bri­co­ler, „eine nicht vor­ge­zeich­nete Bewegung zu beto­nen“– „abwegig[en]“ Ressourcen (moy­ens détour­nés; „Abfälle und Bruchstücke“, des bri­bes et des morceaux, LÉVI-STRAUSS 1962/1968, 29 u. 35) die Arbeit des bri­coleurs. Analog ver­fahre das mythi­sche Denken der ‚Wilden‘ bzw. ‚Naturvölker‘ im Gegensatz zur moder­nen Wissenschaft, indem es immer wie­der neue Mythen aus den Strukturen älte­rer gene­riert. Umstritten sind der „Spielraum“ die­ser „intel­lek­tu­el­len Bastelei“ (bri­co­lage intellec­tuel, LÉVI-STRAUSS 1962/1968, 29) „im Umgang mit dem Überlieferten“ (STIERLE, 458) und ihre Zeitlichkeit: Einerseits bedeu­tet das Konzept eine „Umkehrung“ der „Struktur und Manifestation“ der Mythen (STIERLE 1971, 457), indem ers­tere Signifikant und letz­tere Signifikat wird, und der Ausdruck von der „poé­sie du bri­co­lage“ (LÉVI-STRAUSS 1962/1968, 34) sug­ge­riert die Entstehung krea­ti­ver Mythenrezeptionen. Damit scheint B. als mytho­lo­gi­sche Tätigkeit eine „dia­chro­ni­sche Erstreckung des Mythos“ (STIERLE 1971, 457) zu impli­zie­ren und sin­gu­lär dia­chro­nes Denken inner­halb des LÉVI-STRAUSS’schen Strukturalismus zu ermög­li­chen (so Derrida, Deleuze, Stierle, s. FRASER 2018, 174); ande­rer­seits erscheint die mytho­lo­gi­sche B., deren Elemente (die „Beziehungsbündel“ der Mythen, LÉVI-STRAUSS 1977, 232) „von vorn­her­ein ein­ge­schränkt“ sind („pré­con­traints“, LÉVI-STRAUSS 1962/1968, 32; zum von „le béton pré­con­traint“, „Spannbeton“, abge­lei­te­ten Terminus s. FRASER 2018, 174) und sich immer nur wie im Kaleidoskop „nach vor­ge­schrie­be­nen Mustern“ rekon­fi­gu­rie­ren (FRASER 2018, 175, s. LÉVI-STRAUSS 1962/1968, 50), nicht als aktive und krea­tive, son­dern viel­mehr restau­rie­rende Tätigkeit mit dem Ziel, die ursprüng­li­chen, dia­chron in Unordnung gera­te­nen Mythenstrukturen wie­der­her­zu­stel­len. Hierbei komme der Anthropologie eine unter­stüt­zende Rolle zu (FRASER 2018, 177). (AG)

      Quellen:
      BIES, Michael: 1962. „Claude Lévi-Strauss und das wilde Basteln“. In: ZANETTI, Sandro (Hg.): Improvisation und Invention. Momente, Modelle, Medien. Zürich 2018, 205–15.
      FRASER, Jack: „Bricoleur, Ingenieur, Dekonstrukteur: Lévi-Strauss, Luhmann und die Zeiten des Strukturalismus“. In: ENDRES, Martin, HERRMANN, Leonhard (Hgg.): Strukturalismus, heute. Abhandlungen zur Literaturwissenschaft. Stuttgart 2018, 169–87.
      KUESTER, Martin: „Bricolage/Bricoleur“. In: NÜNNING, A. (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 5. Aufl. Stuttgart 2013, 89f. 
      LÉVI-STRAUSS, Claude: La pen­sée sau­vage. Paris 1962, zitiert nach: Das wilde Denken. Übersetzung von Hans Naumann. Frankfurt am Main 1968. 
      LÉVI-STRAUSS, Claude: Strukturale Anthropologie I. Frankfurt am Main 1967/1977.
      STIERLE, Karlheinz: „Mythos als ‚B.‘ und zwei Endstufen des Prometheusmythos“. In: FUHRMANN, Manfred (Hg.): Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption. München 1971, 455–472.
    3. Im Diskurs um den Strukturalismus als Methode der Literaturkritik und ‑wis­sen­schaft hat Gérard GENETTE den Begriff der B., den Lévi-Strauss zur Beschreibung des „mythi­schen Denkens“ geprägt hat, auf eine moderne Form des Denkens appli­ziert: die Literaturkritik bzw. die Literaturwissenschaft (sein Begriff „cri­tique lit­té­raire“ umfasst bei­des, dazu noch eine „lite­ra­ri­sche Funktion“ (fon­c­tion lit­té­raire), da ein Kritiker auch immer selbst Autor ist, GENETTE 1966, 146f.). Er über­trägt LÉVI-STRAUSS‘sche Begriffspaar Ingenieur/bri­coleur (s. 1.2) direkt auf das Verhältnis von Autor und Literaturkritiker/-wis­sen­schaft­ler: Während dem Autor (bei­spiels­weise von Romanen, roman­cier) pri­märe und unend­li­che Ressourcen – das Universum – zur Verfügung stün­den, seien die Mittel des ‚Kritikers‘ (cri­tique) – die Literatur – sekun­där und begrenzt (GENETTE 1966, 148). Ebenso sei für die ‚Literaturkritik‘ die „stän­dige Umkehrung“ von Signifikant und Signifikat, von Zeichen und Bedeutung, cha­rak­te­ris­tisch: „Mais ce qui était signe chez l‘écrivain (l’œuvre) devi­ent sens chez le cri­tique (puis­que objet du dis­cours cri­tique), et d’une autre façon ce qui était sens chez l‘écrivain (sa vision du monde) devi­ent signe chez le cri­tique, comme thème et sym­bole d’une cer­tain nature lit­té­raire.“ (GENETTE 1966, 148). Anders jedoch als der LÉVI-STRAUSS’sche (intel­lek­tu­elle) bri­coleur, des­sen mythi­sches Denken sich auf andere Objekte rich­tet als das wis­sen­schaft­li­che Denken – die Provenienz sei­ner eige­nen Objekte, der ursprüng­li­chen Mythenstrukturen, bleibt im Dunkeln –, ist der bri­coleur bei GENETTE direkt auf den Autor und sein Werk bezo­gen: Als „méta-lit­té­ra­ture“ (GENETTE 1966, 146) beschäf­tigt sich die B. nicht nur mit dem Objektbereich, dem sie selbst ent­stammt, son­dern bleibt auch immer kon­kre­ten lite­ra­ri­schen Werken ver­haf­tet; umge­kehrt dürfte der Kritiker auch Einfluss auf den Autor haben. (AG)

      Quellen:
      BROOKER, Peter: „Bricolage“. In: DERS. (Hg.): A Glossary of Cultural Theory, 2. ed., Oxford 2003, 21–2.
      FRASER, Jack: „Bricoleur, Ingenieur, Dekonstrukteur: Lévi-Strauss, Luhmann und die Zeiten des Strukturalismus“. In: ENDRES, Martin, HERRMANN, Leonhard (Hgg.): Strukturalismus, heute. Abhandlungen zur Literaturwissenschaft. Stuttgart 2018, 169–87.
      GENETTE, Gerard: „Structuralisme et cri­tique lit­té­raire“. In: DERS.: Figures I. Paris 1966. 
    4. Im post­struk­tu­ra­lis­ti­schen Diskurs der Dekonstruktion hat Jacques DERRIDA eine uni­ver­sa­li­sie­rende Erweiterung des LÉVI-STRAUSS’schen Begriffs B. vor­ge­nom­men, die in der Auflösung der Begriffsopposition bri­coleur/Ingenieur mün­det. Die von ihm und ande­ren Poststrukturalisten grund­sätz­lich posi­tiv bewer­tete, da anti­struk­tu­ra­lis­ti­sche B. (FRASER 2018, 172) cha­rak­te­ri­siere nicht nur das mythi­sche Denken: „Nennt man Bastelei die Notwendigkeit, seine Begriffe dem Text einer mehr oder weni­ger kohä­ren­ten und zer­fal­le­nen Überlieferung ent­leh­nen zu müs­sen, dann muss man zuge­ben, daß jeder Diskurs Bastelei ist.“ (DERRIDA 1967/1972, 431). Der Ingenieur, der etwas aus dem Nichts erschaffe, exis­tiere gar nicht; er sei ein „vom Bastler erzeugte Mythos“ (DERRIDA 1967/1972, 431). Auch das domes­ti­zierte, modern-wis­sen­schaft­li­che Denken „ver­mag sich letzt­lich auch nur als ein bas­teln­des, wil­des und impro­vi­sie­ren­des Denken zu begrün­den und für ‚Einfälle‘ und ‚Erfindungen‘ offen­zu­hal­ten“. (BIES 2018 zu DERRIDA 1967/1972, 431–432). Ebenso kann man im Anschluss an Derrida fest­stel­len, dass LÉVI-STRAUSS selbst bri­coleur und auch die Dekonstruktion eine Art B. ist (BROOKER 2003, 22). Damit geht auf DERRIDA der Topos zurück, ganze Wissen(schafts)sbereiche als B. zu betrach­ten (vgl. z.B. GROSSBERG, NELSON & TREICHLER 1992, 2 zur „metho­do­logy of Cultural Studies“). (AG)

      Quellen:
      BIES, Michael: 1962. „Claude Lévi-Strauss und das wilde Basteln“. In: ZANETTI, Sandro (Hg.): Improvisation und Invention. Momente, Modelle, Medien. Zürich 2018, 205–15.
      BROOKER, Peter: „Bricolage“. In: DERS. (Hg.): A Glossary of Cultural Theory, 2. ed., Oxford 2003, 21–2.
      DERRIDA, Jacques: „La struc­ture, le signe et le jeu dans le dis­cours des sci­en­ces humaines“. In: DERS.: L’ écri­ture et la dif­fé­rence. Paris 1967, 409–428. Zitiert nach: DERRIDA, Jacques: „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen“. In: DERS.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 1972, 422–42.
      FRASER, Jack: „Bricoleur, Ingenieur, Dekonstrukteur: Lévi-Strauss, Luhmann und die Zeiten des Strukturalismus“. In: ENDRES, Martin, HERRMANN, Leonhard (Hgg.): Strukturalismus, heute. Abhandlungen zur Literaturwissenschaft. Stuttgart 2018, 169–87..
      GROSSBERG, Lawrence, NELSON, Cary & TREICHLER, Paula (Hgg.): Cultural Studies. London / New York 1992. 
    5. Im Diskurs zu den Künsten der Avantgarden des frü­hen 20. Jahrhunderts wird B. syn­onym zu „Collage“ (zu frz. col­ler: kle­ben) und „Montage“ (zu frz. mon­ter: auf­bauen, mon­tie­ren) ver­wen­det, um den Stil der neuen Techniken künst­le­ri­scher Komposition der Moderne in der Photokunst, dem Film, dem Theater sowie der bil­den­den und per­for­ma­ti­ven Kunst zu bezeich­nen (VOIGTS-VIRCHOW 2013, 540; BROOKER 2003, 22). B. beschreibt also „ästhe­ti­sche Verfahren und Werke, die aus urspr. sepa­ra­ten Teilen unter­schied­li­cher Herkunft etwas Neues zusam­men­set­zen (…)“ und deren „Partikel unver­mit­telt zusam­men­ge­fügt sind, hete­ro­gen blei­ben und als erkenn­bare Bruchstücke inho­mo­gen wir­ken“. Indem der Begriff „Arbeiten mit Fertigteilen oder objets trou­vés“ bezeich­net (VOIGTS-VIRCHOW 2013, 540), steht er für avant­gar­dis­ti­sche Gegenentwürfe zum orga­ni­schen Kunstwerk, die ihr „‘Gemacht-Sein‘ zur Schau [stel­len]“ (FEUCHERT 2013, 93) und als „Paradigma der Moderne“ ins­ge­samt gel­ten kön­nen. (Bürger, zitiert von VOIGTS-VIRCHOW 2013, 541). (AG)

      Quellen:
      BROOKER, Peter: „Bricolage“. In: DERS. (Hg.): A Glossary of Cultural Theory, 2. ed., Oxford 2003, 21–2.
      FEUCHERT, Sascha: „Bürger, Peter“. In: NÜNNING, A. (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 5. Aufl. Stuttgart 2013, 93. 
      KACZMAREK, Ludger: „Bricolage“, Das Lexikon der Filmbegriffe, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/b:bricolage-2148 (besucht am 15. Januar 2023). 
      VOIGTS-VIRCHOW, Eckart: „Montage/Collage“. In: NÜNNING, A. (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 5. Aufl. Stuttgart 2013, 167f. 
    6. Im Diskurs der post­struk­tu­ra­lis­ti­schen Literatur- und Kulturtheorie „wird B. zu einer Form der Intertextualität“ (KUESTER 2013, 90, ohne Angabe von Quellen). Je nach­dem, ob ein „deskrip­ti­ver“ Intertextualitätsbegriff ange­legt wird, um die Anspielungen eines Textes auf einen ande­ren zu bezeich­nen, oder ein onto­lo­gi­scher zur „Bezugnahme auf sämt­li­che Arten von bedeu­tungs­tra­gen­den Äußerungen“ (ACZEL 2013, 349), wird B. ent­we­der für Textformen, die ältere Texte rekon­tex­tua­li­sie­ren, etwa die Parodie, oder in einem umfas­sen­de­ren Sinn für Anspielungen und Zitate in post­mo­der­nen Kunstformen ver­wen­det. In der post­mo­der­nen Theorie wie­derum ist B. in dem ers­ten (deskrip­ti­ven) Sinn ebenso nega­tiv kon­no­tiert wie etwa der Terminus Pastiche (KUESTER 2013, 90, ohne Angabe von Quellen). (AG)

      Quellen:
      ACZEL, Richard: „Intertextualität und Intertextualitätstheorien“. In: NÜNNING, A. (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 5. Aufl. Stuttgart 2013, 349–51.
      BROOKER, Peter: „Bricolage“. In: DERS. (Hg.): A Glossary of Cultural Theory, 2. ed., Oxford 2003, 21–2.
      KACZMAREK, Ludger: „Bricolage“, Das Lexikon der Filmbegriffe, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/b:bricolage-2148 (besucht am 15. Januar 2023). 
      KUESTER, Martin: „Bricolage/Bricoleur“. In: NÜNNING, A. (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 5. Aufl. Stuttgart 2013, 89f. 
    7. Der epis­te­mo­lo­gi­sche Diskurs rekur­riert auf den B.-Begriff LÉVI-STRAUSS‘, um „ein ande­res Bild von der Wissenschaft, ins­be­son­dere von der Forschung [zu] ent­wer­fen“: einer auf das Wilde, Konkrete statt auf das Abstrakte, Theoretische gerich­te­ten Forschung, deren Akteur „kein – theo­rie­ge­lei­te­ter – Ingenieur ist, son­dern ein Bastler“, und deren Praktiken das „Ausprobieren“ und unplan­mä­ßige „[F]inden“ sind (RHEINBERGER 2003, 36f.). Die Fokussierung auf das Konkrete begrün­det RHEINBERGER 2003, 37 mit der immer klein­tei­li­ge­ren „Spezialisierung der moder­nen Wissenschaften“, die eine Erforschung ihrer Objekte anhand all­ge­mei­ner Prinzipien unmög­lich macht. Lévi-Strauss‘ Theorie der B. biete einen „Anknüpfungspunkt“ für die Vorstellung der Wissenschaft als ‚wil­den Denkens‘, da sie mythi­sches und wis­sen­schaft­li­ches Denken ein­an­der nicht ent­ge­gen­setze, son­dern ers­te­res eben­falls als Erkenntnisform betrachte (RHEINBERGER 2003, 36 zu LÉVI-STRAUSS 1962, 21). (AG)

      Quellen:
      LÉVI-STRAUSS, Claude: La pen­sée sau­vage. Paris 1962. 
      RHEINBERGER, Hans-Jörg: „Das Wilde im Zentrum der Wissenschaft“. In: Gegenworte 12 (2003), 36–38.
      RHEINBERGER, Hans-Jörg: An Epistemology of the Concrete. Twentieth-Century Histories of Life. Durham, NC 2010. 
    8. Der von der Clusterinitiative „Bricolage! Re-Use, Interpretation, Knowledge in Ancient Cultures” vor­ge­schla­gene Diskurs knüpft an den epis­te­mo­lo­gi­schen Diskurs an, indem er eben­falls eine alter­na­tive Betrachtung von (anti­ker) Wissenschaft im Rückgriff aus LÉVI-STRAUSS‘ B. vor­schlägt. Um zu unter­su­chen, wie antike Kulturen Wissen effek­tiv und krea­tiv ver­wen­den und wie­der­ver­wen­den, gehen UHLMANN/ASPER von fol­gen­der Hypothese aus: “re-use aways draws on prior inter­pre­ta­ti­ons which are the pro­duct of a broad spec­trum of coll­ec­tive memo­ries, his­to­ri­cal hori­zons of expe­ri­ence, (often locally media­ted) prac­ti­cal know-how, and bodies of know­ledge han­ded down in wri­ting” (4). Sie ent­neh­men dem LÉVI-STRAUSS’schen B.-Diskurs nur das Element der Wiederverwendung („re-use“) von bereits vor­han­de­nen Dingen und Wissen sowieso das Moment der krea­ti­ven Improvisation, deren die Wiederverwendung bedarf. Jenseits von LÉVI-STRAUSS prä­gen sie B. neu als „ana­ly­ti­sches tool“; in enger Verbindung mit dem his­to­risch ver­wand­ten, aber nun in sei­ner sozia­len Dimension ver­stan­de­nen Terminus „Kreativität“ bezeich­net B. die auf Kommunikation und Interaktion basie­rende Praxis des „crea­tive re-use“ (6). B. steht dabei ter­mi­no­lo­gisch sowohl in einer Reihe mit Begriffen wie „impro­vi­sa­tion, tin­ke­ring, craf­ting, and crea­ti­vity“, als auch kann es als Oberbegriff die­ser Praktiken des re-use her­hal­ten. Als vier wesent­li­che Merkmale der B. kön­nen gel­ten: „Bricolage is (…) (1) not an indi­vi­dual, but a genui­nely social prac­tice. The bri­coleur is always refer­red to his com­mu­ni­ties as coll­ec­ti­ves of use, in which cer­tain prac­ti­ces of use are estab­lished and others are not rea­li­sed. Bricolage is (2) crea­tive as a pro­blem-sol­ving stra­tegy of re-use from mate­ri­als, things, spaces, know­ledge, infra­struc­tures, and insti­tu­ti­ons, and has a (3) his­to­ri­cal depth due to the use-memory in these com­mu­ni­ties, whose his­to­ri­cal view of them­sel­ves is (4) always lin­ked to com­pe­ti­tive and poten­ti­ally con­flic­ting use- and inter­pre­ta­tion-prac­ti­ces.” (UHLMANN/ASPER, 6). (AG)

      Quellen:
      UHLMANN, Gyburg / ASPER, Markus: Draft Proposal Cluster Initiative (ExStra II): „Bricolage! Re-Use, Interpretation, Knowledge in Ancient Cultures“ 

PDF Zitiervorschlag: Anna-Maria Gasser, „Bricolage“, Version 1.0, 14.04.2023, ORGANON ter­mi­no­logy tool­box, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

PDF DOI: http://dx.doi.org/10.17169/refubium-38607

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