Politik

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POLITIK

Version 1.0 (15.11.2019; erhal­ten am: 25.06.2019)

Autor: Mark Brown

Zum Wort
Das Wort Politik kommt vom grie­chi­schen Πολιτικά, poli­tiká, „die Angelegenheiten der Polis.“ In den meis­ten euro­päi­schen Sprachen wurde das Wort vor dem 19. Jahrhundert nicht als eine bestimmte Form mensch­li­cher Aktivität, son­dern als eine wis­sen­schaft­li­che Disziplin, jetzt Politikwissenschaft genannt, ver­stan­den. Während des 18. Jahrhunderts, mit der funk­tio­na­len Differenzierung der Gesellschaft, wurde das Wort Politik zuneh­mend mit einer bestimm­ten Sphäre ver­bun­den, meis­tens gleich­ge­setzt mit dem Staat oder dem Gemeinwesen. Etwas spä­ter hat das Wort eine dritte Bedeutung bekom­men, näm­lich die einer insti­tu­tio­nell unge­bun­de­nen Aktivität mit spe­zi­fi­schen Praktiken und Normen (PALONEN 2006; WARREN 1999). In Hinsicht auf ihre Haltung zu Politisierung las­sen sich die Begriffsparadigmen ver­schie­de­ner Diskurse am deut­lichs­ten auf­zei­gen. [MB]

Inhalt
  1. Diskurse und Kontexte














  2. Literatur zum Begriff

  1. Diskurse und Kontexte
    1. In der klas­si­schen oder repu­bli­ka­ni­schen Auffassung wird Politik als das gemein­wohl-ori­en­tierte Zusammenleben einer Gemeinschaft ver­stan­den (ARISTOTELES, Politik). In den Theorien von ARISTOTELES, ROUSSEAU und man­chen heu­ti­gen Verfechtern einer kom­mu­ni­ta­ris­ti­schen oder repu­bli­ka­ni­schen Politik wird Politik mit Tugenden wie Vernunft, Gemeinschaftssinn und Kompromissbereitschaft ver­bun­den. Die Freiheit des Menschen wird in der Politik rea­li­siert (ARENDT 1981 (1958)). Aus die­ser Sicht ist die Politisierung von bis­her als nicht-poli­tisch ver­stan­de­nen Institutionen im Zweifel zu befür­wor­ten, weil Politik mit wün­schens­wer­ten Eigenschaften und Zielen asso­zi­iert wird. [MB]

      Quellen:
      ARISTOTELES. Politik.
      ARENDT, Hannah. Vita activa oder Vom täti­gen Leben (1958). München 1981. 
    2. In der poli­ti­schen Theorie des Liberalismus von HOBBES und LOCKE bis heute wird Politik als ein gesetz­lich gere­gel­tes Verfahren auf­ge­fasst, in dem Interessenskonflikte einer plu­ra­lis­ti­schen Gesellschaft aus­ge­han­delt wer­den (DAHL 1991). Politik wird nicht als Ort der per­sön­li­chen oder gesell­schaft­li­chen Verwirklichung ver­stan­den, son­dern als instru­men­tel­les Mittel, all­ge­mein­ver­bind­li­che Entscheidungen zu tref­fen. Aus die­ser Sicht ist die Politik vor allem dem Schutz von indi­vi­du­el­len Rechten und Interessen ver­pflich­tet. Für ein libe­ra­les Politikverständnis wird Politisierung meis­tens als Bedrohung emp­fun­den, da sie neue Interessenskonflikte pro­du­ziert, die gesell­schaft­li­che Arbeitsteilung unter­mi­niert und den öffent­li­chen Frieden gefähr­det. [MB]

      Quellen:
      DAHL, Robert A. Modern Political Analysis. 5. Ed. Englewood Cliffs, NJ 1991. 
    3. Für die Tradition des poli­ti­schen Realismus ist die Politik ein Machtkampf. Moralische Richtlinien und opti­mis­ti­sche Einschätzungen der mensch­li­chen Natur sind hier fehl am Platz. Für Denker wie MACHIAVELLI (Der Fürst), Carl SCHMITT (1963 (1932)) und Max WEBER (2009 (1919)) geht es in der Politik um Staatsräson, das Erlangen und den Erhalt von staat­li­cher Macht. Aus die­ser Perspektive ist sowohl die repu­bli­ka­ni­sche Hoffnung auf gemein­schaft­li­chen Konsens als auch die libe­rale Wertschätzung von unbe­streit­ba­ren uni­ver­sel­len Rechten glei­cher­ma­ßen naiv und gefähr­lich. Manche Aspekte die­ser Politikauffassung fin­den sich auch in soge­nann­ten „agnos­ti­schen“ Ansätzen der heu­ti­gen poli­ti­schen Theorie, etwa bei Chantal MOUFFE (2007) und ande­ren Verfechtern einer robus­ten, kon­flikt­freund­li­chen Politik. Für Denker die­ser Gesinnung dient die Politisierung der Aufdeckung und Thematisierung von laten­ten Konflikten, die sonst durch ver­meint­li­chen Konsens unter­drückt wür­den. [MB]

      Quellen:
      MACHIAVELLI, Niccolò. Der Fürst.
      MOUFFE, Chantal. Über das Politische. Wider die kos­mo­po­li­ti­sche Illusion. Frankfurt/Main 2007.
      SCHMITT, Carl. Der Begriff des Politischen (1932). Berlin 1963.
      WEBER, Max. Politik als Beruf (1919). Stuttgart 2009.
    4. Im Vergleich zu repu­bli­ka­ni­schen und libe­ra­len Theorien, die ihr Verständnis von Politik an vor­po­li­ti­schen Werten und Zielen ori­en­tie­ren (das Gemeinwohl einer­seits, indi­vi­du­elle Rechte ander­seits), hat die Politik für prag­ma­ti­sche, deli­be­ra­tive und kon­struk­ti­vis­ti­sche Ansätze die Aufgabe, Grundsätze einer poli­ti­schen Gemeinschaft immer wie­der neu zu legi­ti­mie­ren oder gege­be­nen­falls in Frage zu stel­len (DEWEY 1927 (1954); HABERMAS 1992). Nicht nur poli­ti­sche Entscheidungen, son­dern auch die Maßstäbe, an denen sie gemes­sen wer­den, müs­sen durch poli­ti­sche Prozesse ver­schie­de­ner Art kon­stru­iert wer­den. Im Vergleich zu rea­lis­ti­schen Ansätzen sieht die prag­ma­ti­sche Tradition mehr Möglichkeiten für eine demo­kra­tisch-legi­time Verwendung von poli­ti­scher Macht. Aus die­ser Sicht ist eine Politisierung von bestimm­ten Sachverhalten immer inso­fern gerecht­fer­tigt, als die Politik ein effek­ti­ves Mittel für kol­lek­tive Problemlösung bie­tet. [MB]

      Quellen:
      DEWEY, John. The Public and Its Problems (1927). Athens, OH 1954.
      HABERMAS, Jürgen. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demo­kra­ti­schen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992. 
    5. Angesichts der andau­ern­den Kontroversen über unter­schied­li­che Politikvorstellungen ist ein Diskurs um „post­fun­da­men­ta­lis­ti­sche“ (eng­lisch: post­foun­da­tio­nal) Politikbegriffe ent­stan­den, der diese Kontroverse selbst zum Gegenstand ihrer Forschung macht (BEDORF und RÖTTGERS 2010; MARCHART 2010). Diese Forschungen ver­su­chen der Ambiguität des Begriffs Politik gerecht zu wer­den, u. a. indem sie zwi­schen der all­täg­li­chen poli­ti­schen Praxis, Politik genannt, und ihren ver­meint­li­chen Grundlagen, dem Politischen, unter­schei­den. Mit die­ser Unterscheidung, die bei unter­schied­li­chen Autoren sehr unter­schied­lich ver­stan­den wird, las­sen sich die gesell­schaft­li­chen Auseinandersetzungen the­ma­ti­sie­ren, durch die man­che Praktiken und Institutionen als poli­tisch defi­niert wer­den. In die­sem Zusammenhang wird auch die Frage unter­sucht, ob öko­no­mi­sche und büro­kra­ti­sche Zwänge eine echte Politik zuneh­mend unmög­lich machen, und ob heu­tige Gesellschaften sich in einer Ära der „Post-Politik“ befin­den (ARENDT 1981 (1958); MOUFFE 2007). [MB]

      Quellen:
      ARENDT, Hannah. Vita activa oder Vom täti­gen Leben (1958). München 1981. 
      BEDORF, Thomas, und RÖTTGERS, Kurt. Das Politische und die Politik. Frankfurt/Main 2010. 
      MARCHART, Oliver. Die poli­ti­sche Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Berlin 2010. 
      MOUFFE, Chantal. Über das Politische. Wider die kos­mo­po­li­ti­sche Illusion. Frankfurt/Main 2007. 
  2. Literatur zum Begriff
  3. CELIKATES, Robin, und GOSEPATH, Stefan. „Was ist Politik?“ In: Grundkurs Philosophie, Band 6: Politische Philosophie. Stuttgart 2013, 14–23.
    LEFTWICH, Adrien, (Hrsg.). What is Politics? Cambridge 2004.
    MEYER, Thomas. Was ist Politik? 2., über­ar­bei­tete und erwei­terte Auflage. Opladen 2003.
    PALONEN, Kari. The Struggle with Time: A Conceptual History of ‘Politics’ as an Activity. Hamburg 2006.
    WARREN, Mark E. “What is Political?” In: Journal of Theoretical Politics 11.2 (1999), 207–231.

PDF Zitiervorschlag: Mark Brown, „Politik“, Version 1.0, 15.11.2019, ORGANON ter­mi­no­logy tool­box, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

PDF DOI: http://dx.doi.org/10.17169/refubium-30378

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Versionsgeschichte
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