Politik

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POLITIK

Version 1.0 (15.11.2019; erhal­ten am: 25.06.2019)

Autor: Mark Brown

Zum Wort
Das Wort Politik kommt vom grie­chi­schen Πολιτικά, poli­tiká, „die Angelegenheiten der Polis.“ In den meis­ten euro­päi­schen Sprachen wurde das Wort vor dem 19. Jahrhundert nicht als eine bestimmte Form mensch­li­cher Aktivität, son­dern als eine wis­sen­schaft­li­che Disziplin, jetzt Politikwissenschaft genannt, ver­stan­den. Während des 18. Jahrhunderts, mit der funk­tio­na­len Differenzierung der Gesellschaft, wurde das Wort Politik zuneh­mend mit einer bestimm­ten Sphäre ver­bun­den, meis­tens gleich­ge­setzt mit dem Staat oder dem Gemeinwesen. Etwas spä­ter hat das Wort eine dritte Bedeutung bekom­men, näm­lich die einer insti­tu­tio­nell unge­bun­de­nen Aktivität mit spe­zi­fi­schen Praktiken und Normen (PALONEN 2006; WARREN 1999). In Hinsicht auf ihre Haltung zu Politisierung las­sen sich die Begriffsparadigmen ver­schie­de­ner Diskurse am deut­lichs­ten auf­zei­gen. [MB]

Inhalt
  1. Diskurse und Kontexte














  2. Literatur zum Begriff

  1. Diskurse und Kontexte
    1. In der klas­si­schen oder repu­bli­ka­ni­schen Auffassung wird Politik als das gemein­wohl-ori­en­tierte Zusammenleben einer Gemeinschaft ver­stan­den (ARISTOTELES, Politik). In den Theorien von ARISTOTELES, ROUSSEAU und man­chen heu­ti­gen Verfechtern einer kom­mu­ni­ta­ris­ti­schen oder repu­bli­ka­ni­schen Politik wird Politik mit Tugenden wie Vernunft, Gemeinschaftssinn und Kompromissbereitschaft ver­bun­den. Die Freiheit des Menschen wird in der Politik rea­li­siert (ARENDT 1981 (1958)). Aus die­ser Sicht ist die Politisierung von bis­her als nicht-poli­tisch ver­stan­de­nen Institutionen im Zweifel zu befür­wor­ten, weil Politik mit wün­schens­wer­ten Eigenschaften und Zielen asso­zi­iert wird. [MB]

      Quellen:
      ARISTOTELES. Politik.
      ARENDT, Hannah. Vita activa oder Vom täti­gen Leben (1958). München 1981. 
    2. In der poli­ti­schen Theorie des Liberalismus von HOBBES und LOCKE bis heute wird Politik als ein gesetz­lich gere­gel­tes Verfahren auf­ge­fasst, in dem Interessenskonflikte einer plu­ra­lis­ti­schen Gesellschaft aus­ge­han­delt wer­den (DAHL 1991). Politik wird nicht als Ort der per­sön­li­chen oder gesell­schaft­li­chen Verwirklichung ver­stan­den, son­dern als instru­men­tel­les Mittel, all­ge­mein­ver­bind­li­che Entscheidungen zu tref­fen. Aus die­ser Sicht ist die Politik vor allem dem Schutz von indi­vi­du­el­len Rechten und Interessen ver­pflich­tet. Für ein libe­ra­les Politikverständnis wird Politisierung meis­tens als Bedrohung emp­fun­den, da sie neue Interessenskonflikte pro­du­ziert, die gesell­schaft­li­che Arbeitsteilung unter­mi­niert und den öffent­li­chen Frieden gefähr­det. [MB]

      Quellen:
      DAHL, Robert A. Modern Political Analysis. 5. Ed. Englewood Cliffs, NJ 1991. 
    3. Für die Tradition des poli­ti­schen Realismus ist die Politik ein Machtkampf. Moralische Richtlinien und opti­mis­ti­sche Einschätzungen der mensch­li­chen Natur sind hier fehl am Platz. Für Denker wie MACHIAVELLI (Der Fürst), Carl SCHMITT (1963 (1932)) und Max WEBER (2009 (1919)) geht es in der Politik um Staatsräson, das Erlangen und den Erhalt von staat­li­cher Macht. Aus die­ser Perspektive ist sowohl die repu­bli­ka­ni­sche Hoffnung auf gemein­schaft­li­chen Konsens als auch die libe­rale Wertschätzung von unbe­streit­ba­ren uni­ver­sel­len Rechten glei­cher­ma­ßen naiv und gefähr­lich. Manche Aspekte die­ser Politikauffassung fin­den sich auch in soge­nann­ten „agnos­ti­schen“ Ansätzen der heu­ti­gen poli­ti­schen Theorie, etwa bei Chantal MOUFFE (2007) und ande­ren Verfechtern einer robus­ten, kon­flikt­freund­li­chen Politik. Für Denker die­ser Gesinnung dient die Politisierung der Aufdeckung und Thematisierung von laten­ten Konflikten, die sonst durch ver­meint­li­chen Konsens unter­drückt wür­den. [MB]

      Quellen:
      MACHIAVELLI, Niccolò. Der Fürst.
      MOUFFE, Chantal. Über das Politische. Wider die kos­mo­po­li­ti­sche Illusion. Frankfurt/Main 2007.
      SCHMITT, Carl. Der Begriff des Politischen (1932). Berlin 1963.
      WEBER, Max. Politik als Beruf (1919). Stuttgart 2009.
    4. Im Vergleich zu repu­bli­ka­ni­schen und libe­ra­len Theorien, die ihr Verständnis von Politik an vor­po­li­ti­schen Werten und Zielen ori­en­tie­ren (das Gemeinwohl einer­seits, indi­vi­du­elle Rechte ander­seits), hat die Politik für prag­ma­ti­sche, deli­be­ra­tive und kon­struk­ti­vis­ti­sche Ansätze die Aufgabe, Grundsätze einer poli­ti­schen Gemeinschaft immer wie­der neu zu legi­ti­mie­ren oder gege­be­nen­falls in Frage zu stel­len (DEWEY 1927 (1954); HABERMAS 1992). Nicht nur poli­ti­sche Entscheidungen, son­dern auch die Maßstäbe, an denen sie gemes­sen wer­den, müs­sen durch poli­ti­sche Prozesse ver­schie­de­ner Art kon­stru­iert wer­den. Im Vergleich zu rea­lis­ti­schen Ansätzen sieht die prag­ma­ti­sche Tradition mehr Möglichkeiten für eine demo­kra­tisch-legi­time Verwendung von poli­ti­scher Macht. Aus die­ser Sicht ist eine Politisierung von bestimm­ten Sachverhalten immer inso­fern gerecht­fer­tigt, als die Politik ein effek­ti­ves Mittel für kol­lek­tive Problemlösung bie­tet. [MB]

      Quellen:
      DEWEY, John. The Public and Its Problems (1927). Athens, OH 1954.
      HABERMAS, Jürgen. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demo­kra­ti­schen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992. 
    5. Angesichts der andau­ern­den Kontroversen über unter­schied­li­che Politikvorstellungen ist ein Diskurs um „post­fun­da­men­ta­lis­ti­sche“ (eng­lisch: post­foun­da­tio­nal) Politikbegriffe ent­stan­den, der diese Kontroverse selbst zum Gegenstand ihrer Forschung macht (BEDORF und RÖTTGERS 2010; MARCHART 2010). Diese Forschungen ver­su­chen der Ambiguität des Begriffs Politik gerecht zu wer­den, u. a. indem sie zwi­schen der all­täg­li­chen poli­ti­schen Praxis, Politik genannt, und ihren ver­meint­li­chen Grundlagen, dem Politischen, unter­schei­den. Mit die­ser Unterscheidung, die bei unter­schied­li­chen Autoren sehr unter­schied­lich ver­stan­den wird, las­sen sich die gesell­schaft­li­chen Auseinandersetzungen the­ma­ti­sie­ren, durch die man­che Praktiken und Institutionen als poli­tisch defi­niert wer­den. In die­sem Zusammenhang wird auch die Frage unter­sucht, ob öko­no­mi­sche und büro­kra­ti­sche Zwänge eine echte Politik zuneh­mend unmög­lich machen, und ob heu­tige Gesellschaften sich in einer Ära der „Post-Politik“ befin­den (ARENDT 1981 (1958); MOUFFE 2007). [MB]

      Quellen:
      ARENDT, Hannah. Vita activa oder Vom täti­gen Leben (1958). München 1981. 
      BEDORF, Thomas, und RÖTTGERS, Kurt. Das Politische und die Politik. Frankfurt/Main 2010. 
      MARCHART, Oliver. Die poli­ti­sche Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Berlin 2010. 
      MOUFFE, Chantal. Über das Politische. Wider die kos­mo­po­li­ti­sche Illusion. Frankfurt/Main 2007. 
  2. Literatur zum Begriff
  3. CELIKATES, Robin, und GOSEPATH, Stefan. „Was ist Politik?“ In: Grundkurs Philosophie, Band 6: Politische Philosophie. Stuttgart 2013, 14–23.
    LEFTWICH, Adrien, (Hrsg.). What is Politics? Cambridge 2004.
    MEYER, Thomas. Was ist Politik? 2., über­ar­bei­tete und erwei­terte Auflage. Opladen 2003.
    PALONEN, Kari. The Struggle with Time: A Conceptual History of ‘Politics’ as an Activity. Hamburg 2006.
    WARREN, Mark E. “What is Political?” In: Journal of Theoretical Politics 11.2 (1999), 207–231.

PDF Zitiervorschlag: Mark Brown, „Politik“, Version 1.0, 15.11.2019, ORGANON ter­mi­no­logy tool­box, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

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Intention / Intentionalität

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INTENTION / INTENTIONALITÄT

Version 1.0 (11.11.2019; erhal­ten am: 11.11.2019)

Autor*inn*en: Ulla Jaekel, Patricia Kanngießer, Reinhard Bernbeck, Arkadiusz Chrudzimski

Zum Wort
Intention, im 16. Jh. dem latei­ni­schen inten­tio/-ōnis ent­lehnt, meint eine absicht­li­che Handlung bzw. einen Vorsatz, ein bestimm­tes Ziel zu errei­chen, und folgt hier­mit dem latei­ni­schen Begriff inten­dere in sei­ner Bedeutung als einem sich „hin­wen­den, sein Streben auf etwas rich­ten“ (KLUGE 2001). Der Begriff Intentionalität im Sinne von Absichtlichkeit fin­det sich schon Ende des 18. Jahrhunderts, etwa bei Immanuel KANT, zu einem theo­re­ti­schen Grundbegriff wurde er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Phänomenologie Edmund HUSSERLS. [UJ]

Inhalt
  1. Diskurse und Kontexte







  2. Literatur zum Begriff
  3. Weiterführende Links

  1. Diskurse und Kontexte
    1. Der Begriff Intentionalität wird im phi­lo­so­phi­schen Diskurs als eine Fähigkeit des Menschen ver­stan­den, sich auf etwas zu bezie­hen – seien es reale oder nicht reale Gegenstände, Ideen, Sachverhalte oder Eigenschaften. Aufbauend auf anti­ken Theorien wurde der Begriff vor allem durch Franz BRENTANO und den Phänomenologen Edmund HUSSERL geprägt.

      Die inten­tio­nale Beziehung unter­schei­det sich von den typi­schen Relationen, wie z. B. grö­ßer als … sein oder neben … sit­zen. Zum einen kön­nen wir uns auf etwas inten­tio­nal bezie­hen auch dann, wenn die­ses etwas nicht exis­tiert (z. B. an den hei­li­gen Nikolaus den­ken). Zum ande­ren ist das Bestehen der inten­tio­na­len Beziehung davon abhän­gig, wie das Referenzobjekt beschrie­ben wird. (Von der Behauptung, dass Hans an den Abendstern denkt, kann man nicht ohne wei­te­res dar­auf schlie­ßen, dass er auch an den Morgenstern denkt.) Die genann­ten Anomalien wer­den oft als „exis­ten­tiale Indifferenz“ und „Aspektualität“ der inten­tio­na­len Beziehung bezeich­net.

      Abhilfe sucht man, indem man neben dem Subjekt und dem Referenzgegenstand noch ein drit­tes Glied ein­führt, das in der Geschichte der Philosophie unter dem Namen „Idee“, „Repräsentation“, „imma­nen­tes Objekt“ oder „Noema“ behan­delt wird. Im Rahmen die­ser Auffassung kann man behaup­ten, dass es eine imma­nente Repräsentation (imma­nen­tes Objekt, Noema etc.) selbst dann gibt, wenn kein tran­szen­den­ter Referenzgegenstand oder unter­schied­li­che Bezugnahmen auf das­selbe Objekt gege­ben sind.

      Dieses Erklärungsschema wurde in der Geschichte der Philosophie oft ver­wen­det (SEARLE 1983). So ist nach Franz BRENTANO die inten­tio­nale Inexistenz eines Gegenstandes das Definitionsmerkmal des Mentalen (BRENTANO 2008 (1874)) und bei HUSSERL fin­den wir sogar noch eine wei­tere Unterscheidung zwi­schen Noema, dem inten­dier­ten Objekt, und Noesis, dem men­ta­len Akt (HUSSERL 1984 (1901)).

      In der Tradition der intro­spek­ti­ven Psychologie und Phänomenologie geht man davon aus, dass man den epis­te­mi­schen Zugang zu den Strukturen der inten­tio­na­len Beziehung durch eine gewisse imma­nente Blickwendung gewinnt. Franz BRENTANO spricht in die­sem Kontext von der inne­ren Wahrnehmung und bei HUSSERL fin­den wir die Lehre von der tran­szen­den­ta­len Reflexion. [UJ/AC]

      Quellen:
      BRENTANO, Franz. „Psychologie vom empi­ri­schen Standpunkte“ (1874). In: BRENTANO, Franz. Psychologie vom empi­ri­schen Standpunkte. Von der Klassifikation der psy­chi­schen Phänomene (Sämtliche ver­öf­fent­lichte Schriften, hrsg. von T. Binder, A. Chrudzimski, Bd. I). Frankfurt/Main 2008, 1–289.
      HUSSERL, Edmund. Logische Untersuchungen, Bd. II, Teil 1/2, Halle 1901 (Husserliana XIX/1 & XIX/2. Hg. U. Panzer). Den Haag 1984. 
      SEARLE, John R. Intentionality. An Essay in the Philosophy of Mind. Cambridge 1983. 
    2. Aus einer auf VYGOTSKY zurück­zu­füh­ren­den Perspektive der Entwicklungspsychologie haben TOMASELLO und Kollegen den Begriff der geteil­ten Intentionalität oder „Wir“-Intentionalität geprägt. Darunter wer­den Aktivitäten ver­stan­den, bei denen Menschen psy­cho­lo­gi­sche Zustände mit­ein­an­der tei­len, z. B. indem sie ein gemein­sa­mes Ziel ver­fol­gen, einen gemein­sa­men Handlungsplan umset­zen oder eine gemein­same Erfahrung mit­ein­an­der tei­len. Nach Stand aktu­el­ler Forschung zei­gen Menschen die Fähigkeit zur geteil­ten Intentionalität zwi­schen dem ers­ten und zwei­ten Lebensjahr; bei den nächs­ten bio­lo­gi­schen Verwandten des Menschen – den Menschenaffen – konnte diese Fähigkeit bis­her nicht gezeigt wer­den. Es wird davon aus­ge­gan­gen, dass die Fähigkeit zur geteil­ten Intentionalität eine wich­tige Grundlage für mensch­li­che Kultur dar­stellt. [PK]

      Quellen:
      TOMASELLO, Michael, und CARPENTER, Malinda. „Shared inten­tio­na­lity“. In: Developmental Science 10.1 (2007), 121–125.
      TOMASELLO, Michael, CARPENTER, Malinda, CALL, Josep, BEHNE, Tanya, und MOLL, Henrike. „Understanding and sha­ring inten­ti­ons: The ori­g­ins of cul­tu­ral cogni­tion“. In: Behavioral and Brain Sciences 28.5 (2005), 675–691.
    3. In der Archäologie ist „Intentionalität“ im Sinne reflek­tier­ter Handlungsabsichten ein aus­ge­spro­chen rele­van­tes Thema, obwohl es kaum begriff­lich reflek­tiert wird. Intentionen erschei­nen dort, wo ziel­ge­rich­te­tes Handeln the­ma­ti­siert wird (Grabanlage, Hausbau), bis hin zu kom­ple­xen Rekonstruktionen nament­lich bekann­ter Individuen. Problematisch sind post hoc-Intentionalisierungen, die man in archäo­me­tri­schen Materialanalysen oft fin­det.

      Wo Intentionalität in der Archäologie theo­re­tisch dis­ku­tiert wird, geschieht dies meist ableh­nend, etwa in „agency“- und „prac­tice theory“-Debatten (DOBRES und ROBB 2000; DORNAN 2001). Dabei wird Praxis als ver­kör­per­licht oder als per Sozialisation inte­rio­ri­siert, als nicht wei­ter reflek­tiert und reflek­tier­bar hin­ge­stellt. Wenn über­haupt, erscheint Intentionalität als dem „prak­ti­schen Bewusstsein“ bei­seite gestell­tes „dis­kur­si­ves Bewusstsein“.

      Als vor­läu­fi­ger Ansatz einer begriff­li­chen Fassung kön­nen unter­schied­li­che Arten von Intentionen unter­schie­den wer­den (BERNBECK 2003a). Experimentell sind Intentionen dann, wenn das Ziel von Handlungen nur vage for­mu­liert wer­den kann und nach Methoden zur Umsetzung gesucht wird. Reguliert sind sie, wenn bekannte Regeln und Ziele in einer rou­ti­nier­ten Weise in Übereinstimmung gebracht wer­den. Situational ist Intentionalität, wenn ohne wei­tere Regelkenntnisse ein Verfahren etwa zur Herstellung von Objekten durch­ge­führt wird, womit man sehr nahe am übli­chen Praxis-Begriff der Archäologie ist. Schließlich gibt es obstruk­tive Intentionalität, die auf einer negie­ren­den Zielsetzung beruht (BERNBECK 2003a, BERNBECK 2003b). [RB]

      Quellen:
      BERNBECK, Reinhard. „Die Vorstellung der Welt als Wille. Zur Identifikation von inten­tio­nel­lem Handeln in archäo­lo­gi­schen Kontexten“. In: HEINZ, Marlies, EGGERT, Manfred K.H., und VEIT, Ulrich, (Hrsgg.). Zwischen Erklären und Verstehen? Beiträge zu den erkennt­nis­theo­re­ti­schen Grundlagen archäo­lo­gi­scher Interpretation. Münster 2003, 201–237. (2003a)
      BERNBECK, Reinhard. „The Ideologies of Intentionality“. In: Rundbrief der Arbeitsgemeinschaft Theorie in der Archäologie 2.2 (2003), 44–50. (2003b)
      DOBRES, Marica-Ann, und ROBB, John, (Hrsgg.). Agency in Archaeology. London 2000. 
      DORNAN, Jennifer L. „Agency and Archaeology: Past, Present, and Future Directions.“ In: Journal of Archaeological Method and Theory 9.4 (2002), 303–329.
  2. Literatur zum Begriff
  3. KLUGE, Friedrich. „Intention“. In: KLUGE, Friedrich, bearb. von SEEBOLD, Elmar. Etymologisches Wörterbuch der deut­schen Sprache. Berlin/New York 2001.
    CHRUDZIMSKI, Arkadiusz. Intentionalität, Zeitbewusstsein und Intersubjektivität. Studien zur Phänomenologie von Brentano bis Ingarden. Frankfurt/Main 2005.
    MAYER, Verena. Edmund Husserl. München 2009.
    JOYCE, Rosemary A. „Unintended Consequences? Monumentality as a Novel Experience in Formative Mesoamerica”. In: Journal of Archaeological Method and Theory 11.1 (2004), 5–29.
    PAUKETAT, Timothy. „Practice and History in Archaeology: An Emerging Paradigm”. In: Anthropological Theory 1.1 (2001), 73–98.
  4. Weiterführende Links
  5. Empfehlenswerter Wikipedia-Artikel zu Intentionalität (letz­ter Zugriff: 12. März 2019)

PDF Zitiervorschlag: Ulla Jaekel, Patricia Kanngießer, Reinhard Bernbeck, Arkadiusz Chrudzimski, „Intention/Intentionalität“, Version 1.0, 11.11.2019, ORGANON ter­mi­no­logy tool­box, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

PDF DOI: http://dx.doi.org/10.17169/refubium-30379

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Invention

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INVENTION

Version 1.2 (10.10.2017; erhal­ten am: 25.04.2017)

Autor: Christian Barth

Zum Wort
Das lat. inve­nire (wörtl. zu etwas gelan­gen, zu etwas hin­kom­men) bezeich­net all­ge­mein das Finden von etwas, wobei das Finden sowohl die Form eines schöp­fe­ri­schen Erfindens als auch die eines Entdeckens anneh­men kann. In der Neuzeit schränkt sich die Bedeutung auf das schöp­fe­ri­sche Er-fin­den ein, das wie­derum vor allem auf tech­ni­sche Kontexte bezo­gen wird. [CB]

Inhalt
  1. Diskurse und Kontexte

















  2. Literatur zum Begriff
  3. Weiterführende Links

  1. Diskurse und Kontexte
    1. Eine pro­mi­nente Rolle spielt der Terminus inve­nire in der anti­ken Rhetorik, in der die ars inve­ni­endi die Kunst der Gestaltung über­zeu­gen­der Rede ist. Sie betrifft vor allem das Finden von Argumenten, die eine erwar­tete Hörerschaft über­zeu­gen sol­len (CICERO, De Inventione). [CB]

      Quellen:
      CICERO. Über die Auffindung des Stoffes/De Inventione: Lateinisch – Deutsch. Hrsg. von Theodor Nüßlein. Düsseldorf/Zürich 1998. 
    2. Wie sich bei Francis BACON fest­stel­len lässt, ver­schiebt sich die Bedeutung des latei­ni­schen inven­tio in den neu­zeit­li­chen Diskursen über Kunst, Wissenschaft und Technik in Richtung Erschaffung und Entdeckung von etwas Neuem (BACON 1996, 222–223). Inventionen sind nun in den Künsten, den Wissenschaften und der Technik anzu­tref­fen, nicht aber mehr in der Rhetorik, in der bereits Gewusstes (Gefundenes) nur zu über­zeu­gen­den Argumenten zusam­men­ge­fügt wird. [CB]

      Quellen:
      BACON, Francis. The Major Works. Edited with an Introduction and Notes by Brian Vickers. Oxford/New York 1996.
    3. Seit dem 19. Jahrhundert wer­den unter Inventionen vor allem Erfindungen ver­stan­den, die von Entdeckungen unter­schie­den wer­den (KNEALE 1955). Zudem wird der Erfindungsbegriff seit­dem vor­nehm­lich im Kontext tech­ni­scher Geräte ver­wen­det. In der Technikgeschichte spielt der Begriff der Invention ent­spre­chend seit dem 19. Jahrhundert eine zen­trale Rolle. [CB]

      Quellen:
      KNEALE, William C. „The Idea of Invention“. In: Proceedings of the British Academy 41 (1955), 85–108.
    4. In der Archäologie wer­den tech­ni­sche Erfindungen als Ausgangspunkte von Innovationsprozessen ange­spro­chen. Da die Inventionsprozesse und ihre Resultate jedoch in der Regel keine Spuren im archäo­lo­gi­schen Befund hin­ter­las­sen, ent­zie­hen sie sich der empi­ri­schen Untersuchung. Inventionen sind nur indi­rekt greif­bar, wenn sie zu Innovationen geführt haben, deren raum­zeit­li­che Ausbreitung (Diffusion) sich im archäo­lo­gi­schen Befund abzeich­net. Der Innovationsbegriff ist daher im archäo­lo­gi­schen Diskurs pro­mi­nen­ter als der Begriff der Invention. [CB]

    5. Der psy­cho­lo­gi­sche Diskurs zur Erklärung von Inventionen nimmt auf beson­dere Fähigkeiten der Kreativität Bezug. Beginnend mit der Renaissance und bis ins 19. Jahrhundert wurde diese Fähigkeit in ihrer höchs­ten Ausprägung mit einem ange­bo­re­nen Genius iden­ti­fi­ziert (Geniebegriff), über den nur wenige, krea­tive Personen ver­fü­gen. In der neue­ren Kreativitätsforschung wird die Fähigkeit zu Inventionen im Rahmen der Kognitionswissenschaft unter­sucht. Das Forschungsprogramm der Creative Cognition ver­folgt das Ziel, die kogni­ti­ven Prozesse, Zustände, Fähigkeiten und Rahmenbedingungen zu iden­ti­fi­zie­ren, die Kreativität ermög­li­chen (FINKE, WARD und SMITH 1992). [CB]

      Quellen:
      FINKE, Ronald A., WARD, Thomas B., und SMITH, Steven M. Creative Cognition: Theory, rese­arch, and appli­ca­ti­ons. Cambridge (Mass.)/London 1992. 
    6. In der Ökonomie wird auf tech­ni­sche Erfindungen als Ausgangspunkt für tech­ni­sche Innovationen Bezug genom­men. Im Unterschied zu Innovationsprozessen umfas­sen Inventionsvorgänge keine Phasen der (ver­viel­fäl­ti­gen­den) Produktion und der Diffusion. Inventionsvorgänge sind mit der Konstruktion des neuen, funk­ti­ons­tüch­ti­gen Geräts abge­schlos­sen. Eine Invention kann durch eine Privatperson oder in Unternehmen in Abteilungen der Forschung und Entwicklung erfol­gen. Im zwei­ten Fall sind sie Teil eines unter­neh­me­ri­schen Plans, ein neues Produkt her­vor­zu­brin­gen oder schon vor­han­dene Produkte zu ver­bes­sern. [CB]

    7. Im juris­ti­schen Diskurs zum Patentrecht sind tech­ni­sche Erfindungen Gegenstand recht­li­chen Schutzes. Als Patentinhaber erhält der Erfinder das Recht, ande­ren die Herstellung und Nutzung der Erfindung in einem gewis­sen Zeitraum zu unter­sa­gen. Was als paten­tier­bare tech­ni­sche Erfindung gilt, wird bei­spiels­weise in §1 und §1a des deut­schen Patentgesetzes sowie in §52 des euro­päi­schen Patentübereinkommens gere­gelt. [CB]

      Quellen:
      §1, §1a PatG 
      §52 EPÜ 
  2. Literatur zum Begriff
  3. WIENER, Norbert. Invention: The Care and Feeding of Ideas. Cambridge (Mass.)/London 1993.
  4. Weiterführende Links
  5. Eine alpha­be­ti­sche Liste wich­ti­ger Erfindungen: 
    https://www.thoughtco.com/famous-inventions-adhesives-to-automobile-1991227
    Eine chro­no­lo­gi­sche Liste wich­ti­ger Erfindungen:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Timeline_of_historic_inventions

PDF Zitiervorschlag: Christian Barth, „Invention“, Version 1.2, 10.10.2017, ORGANON ter­mi­no­logy tool­box, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

PDF DOI: http://dx.doi.org/10.17169/
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